Pierre Pagé erhitzt die Gemüter: Als großer Visionär nach München gekommen, hat er bisher nur mäßigen sportlichen Erfolg und steht nach diversen Aussagen in der Kritik vieler Fans. Zurecht? Und ist eine Lösung in Sicht?
Ein Gespräch zwischen Thomas und Pascal.
Thomas: Zunächst einmal stellt sich die Frage, warum überhaupt von nicht ausreichendem sportlichen Erfolg gesprochen wird. Derzeit ist der EHC Red Bull München auf Platz 7, einen Punkt vor Ingolstadt und 5 Punkte hinter Mannheim. Platz 6 ist also in Schlagweite, und zu Platz 10 ist das Polster mit 6 Punkten bereits nicht unkomfortabel. Ein Problem in der Wahrnehmung von Pierre Pagé ist daher aus meiner Sicht, dass eine Vielzahl der Fans aufgrund der finanziellen Möglichkeiten nach dem Einstieg von Red Bull und dem auf dem Papier gut besetzten Kader wohl eher mit Platz 1-3 gerechnet haben. Aber es ist eine altbekannte Binsenweisheit in jedem Sport, dass die Spiele erst gespielt und die Punkte erst gewonnen werden müssen. Geld verbessert die Wahrscheinlichkeiten, macht aber Wahrscheinlichkeiten nicht zu Sicherheiten.
Pascal: Nicht die finanziellen Gesichtspunkte haben die Erwartungen der Fans auf die Tabellenspitze hervorgerufen, sondern Pierre Pagé selbst. Zwar ist es mit dem aktuellen Tabellenplatz möglich, “um den Titel mitspielen zu können”, allerdings lässt diese Formulierung schon auf eine direkte Playoffviertelfinal-Qualifikation hoffen. Denn rein rechnerisch spielt noch jede der 14 DEL-Mannschaften um den Titel – mit unterschiedlichen Chancen. Vor allem aber hat die Nordkurve das Gefühl, dass es zwischen Mannschaft und Trainer nicht stimmt. Seine Aussagen gegenüber der Presse bringen auch keine Ruhe in das Verhältnis. Es rumort. Ohne Pierre Pagés Erfahrung und Wissen in Abrede stellen zu wollen: Offensichtlich hakt es gewaltig, eine Kontinuität ist nicht ersichtlich. Das darf man freilich nicht an der Punkteausbeute einzelner Spiele ausmachen, aber die Spielweisen unterscheiden sich zu oft. Ein durchdachtes, eintrainiertes Konzept ist nicht offensichtlich.
Thomas: Ein durchdachtes, eintrainiertes Konzept – gutes Stichwort. Die Kritik an Pierre Pagé verbindet sich ja auch unter anderem mit seinem Offensivsystem, das er für einen großen Zeitraum der Saison spielen hat lassen. Pierre Pagé wird vorgeworfen, die Spieler und noch weniger die Fans würden verstehen, was und wie auf dem Eis eigentlich gespielt werden soll. Dabei wird jedem, der nur zwei Sätze mit Pierre Pagé spricht, sofort klar, dass er eine klare Vorstellung vom Eishockey hat, die die Ideen des modernen Eishockeys integriert und zu perfektionieren versucht. “No position hockey” – das kann man ins Lächerliche ziehen und darunter verstehen, dass kein Spieler auf dem Eis mehr weiß, wo er eigentlich zu stehen hat. Man kann darunter im Sinne modernen Eishockeyverständnisses aber auch verstehen, dass es die althergebrachte Unterscheidung zwischen Verteidiger und Stürmer nicht mehr in der Form gibt. Ich habe bereits in einem Artikel für prohockeynews darauf hingewiesen, dass das der Stil ist, in dem auf höchstem Niveau Eishockey gespielt wird. Der moderne Verteidiger ist ein Spieler, der den Stock und den Puck beherrscht, ein gutes Auge hat, und beweglich ist. Der Unterschied zum Stürmer ist im Idealfall nur noch, dass der Verteidiger weiter hinten spielt. Und Pagés Kader gibt das in meinen Augen auch her.
Pascal: Pagés “no position”-Stil scheint allerdings nicht in der gewünschten Weise zu funktionieren. Andy Wozniewski beschreibt, dass es deutlich flüssiger läuft, wenn jeder seine Position und Laufwege kennt. Allerdings erkennt er auch an, dass es vielleicht auch deshalb so hart ist, weil niemand das neue Spielsystem gewohnt ist. Aber ist das nicht langsam eine unhaltbare Ausrede? Die Saison ist bereits 4 Monate alt und Trainer und Mannschaft fanden schon früh zusammen – zumindest physisch. Auch scheint Pagé mit dem Einsatz seiner Mannschaft nicht einverstanden zu sein – also alles “nur” ein Kommunikationsproblem? Schafft es Pagé nicht, seine Spieler zu erreichen? Hat er durch seinen Erfolg das Verständnis für verschiedene Spielerpersönlichkeiten verloren? Dafür spricht, dass die Leistungen des Teams deutliche Besserung erfuhren, als Larry Huras mit auf der Bank stand. Pagé hat keine Kontrollinstanz, das verunsichert die Spieler nur.
Thomas: Natürlich ist alles einfacher, wenn jeder vorgegebene Laufwege und Positionen hat. Die Psychologie zählt schon lange zu ihren gesicherten Erkenntnissen, dass die Leistung von Menschen immer dann am besten ist, wenn sie einer gewohnten Situation erbracht wird. Fehler schleichen sich umso eher ein, je unbekannter die Situation ist. Aber: Wir sprechen hier von Eishockeyprofis in der höchsten deutschen Spielklasse, die zum Großteil auch schon internationale Erfahrung aufweisen. Das Maß an geistiger Flexibilität und individueller Klasse muss man auf diesem Level erwarten können. Statistisch erfüllt Pagés System das Versprechen – nach einem schlechten Start ist das Team mit 122 Treffern derzeit die offensivstärkste Mannschaft der Liga. Natürlich stehen dem auch 118 Gegentore und damit die fünftschlechteste Abwehr der Liga gegenüber, aber immerhin hat das Münchner Eishockey der Saison 2013/2014 Feuer – den Fans war ja das defensivzentrierte Hockey Marke Cortina am Ende auch zu langweilig. Pagé scheint daher derzeit in einer Situation zu sein, in der er in den Augen der Fans wenig richtig, aber viel nur falsch machen kann. Und das wird einer Trainerpersönlichkeit wie Pierre Pagé einfach nicht gerecht.
Pascal: Die Angst, etwas in den Augen der Fans falsch machen zu können, braucht Pagé nicht zu haben – und er lässt sich ja offensichtlich auch nicht davon beeindrucken. Die Frage ist, ob er mit seiner offenbar aufgezwungenen Spielweise nicht Fehler der Mannschaft provoziert und sie danach mit Sanktioniert gegen sich aufbringt. Ja, die Mannschaft muss sich an die Veränderungen eines neuen Spielsystems gewöhnen können, allerdings muss auch Pierre Pagé Veränderungen in seinem Spielsystem vornehmen, wenn dieses scheitert. Dies war zwischenzeiltlich geschehen, was die Spieler wohlmöglich noch mehr verunsichert hat. Auch wenn die Akteure gutbezahlte Sportler sind – sie bleiben Menschen. Pierre Pagé vergisst das scheinbar manchmal, was dann in Aussagen mündet, die sowohl von aktuellen Spielern, aber auch Ehemaligen, aufs schärfste kritisiert werden und offiziell relativiert werden müssen. Ist das eine Grundlage für erfolgreiche Zusammenarbeit?
Thomas: Man darf nicht vergessen, dass Pierre Pagé durchaus weiß, wie man ein Team zum Erfolg führt. In der NHL hat er vier Mannschaften in die PlayOffs geführt, in Salzburg hat er zwei Meisterschaften und die IIHF European Championship 2010 gewonnen, und auch in der DEL war er mit den Eisbären Berlin zwei Mal Deutscher Meister und hat die Grundlagen für die erfolgreiche Ära der Eisbären mitgeprägt. Pagé weiß durch seine jahrzehntelange Erfahrung auf höchstem Niveau, dass seine Ideen funktionieren, wenn die Spieler sie annehmen und umsetzen. Verstehen die Spieler Pagé einfach nicht? Oder wollen sie ihn nicht verstehen? Nach meiner Kenntnis ist den Spielern durchaus bewusst, dass sie wahrscheinlich in ihrer Karriere nicht mehr viele bessere Coaches haben werden. Der Respekt ist da. Natürlich agiert Pagé gerade mit Aussagen in den Medien teilweise sehr unglücklich – aber das ist aus meiner Sicht der Enttäuschung darüber geschuldet, dass das Team nicht gemäß den vorhandenen Fähigkeiten spielt. Gerade nach dem Sieg in Schwenningen am 10.01.2014 hat Pagé gesagt, dass das die beste Mannschaft ist, die er in Europa trainiert hat. Das klingt nicht danach, als gäbe es ein grundsätzliches Problem zwischen Trainer und Mannschaft – aber möglicherweise unterschiedliche Auffassungen darüber, wie das Ziel zu erreichen. Dabei ist die Rollenverteilung klar. Pagé gibt den Weg vor. Die Mannschaft muss ihn gehen. Wenn sich beide aufeinander zu bewegen – wie das nun ja offenkundig geschieht – dann ist der Leistungstrend nach oben in der jüngsten Zeit auch keine Eintagsfliege.
Pascal: Auch in Berlin hatte Pagé eine Zeit voller Superlative. Die besten fünf Jahre seines Lebens habe er dort verbracht, erzählte er kurz vor seinem Wechsel nach Österreich. Differenzen, damals zwischen ihm und Management, waren damals ein offenes Geheimnis. Also alles nur leere Phrasen? Auch seine Pressekonferenzen (in denen er sogar öffentlich beteuert hat, dass er seine Spieler nicht erreicht), können nicht immer in einen direkten Zusammenhang mit seiner Tätigkeit gebracht werden. Auch seine Aussage, dass er nur zu 25 % für die Leistung der Spieler verantwortlich ist, wurde von EHC-Anhängern auf den Rängen und vielleicht auch auf dem Eis mit Häme aufgenommen. Nach Teamwork sieht das nicht aus. Ein Aufeinanderzubewegen kann ich persönlich nicht erkennen. Da jedoch nicht zu erwarten ist, dass Pierre Pagé entlassen wird, ist dies jedoch unumgänglich. Wir Fans müssen uns wohl mit diesem Gedanken anfreunden – der Fantalk, angeregt von ihm selbst – wäre dafür vielleicht eine Gelegenheit. Ruhe in und um den Club zu verbreiten hilft unter umständen dabei, dass die Mannschaft wieder “schönes” Eishockey zeigt und sich die Wogen glätten. Der Persönlichkeit Pierre Pagé gegenüber wäre dies nur gerecht.
Thomas: Was ich persönlich nicht verstehe ist, mit welchem Verve und welcher Emotionalität Pierre Pagé von Teilen der Fans auch persönlich angegriffen wird. In manchen Beiträgen im Internet – und ganz besonders auf Facebook – sind teilweise ehrabschneidende Statements weit unter der Gürtellinie zu lesen. Man kann selbstverständlich eine andere Auffassung vom Eishockey als Pierre Pagé haben, und man darf auch finden, dass das Team mit einem anderen Trainer möglicherweise erfolgreicher wäre. Was aber nicht geht, ist ohne Kenntnis der Karriereleistung Pierre Pagés über ihn zu urteilen. Pagé ist eine Trainerpersönlichkeit, wie es sie nur sehr selten gibt. Dieser Mann ist Eishockey durch und durch. Und er will gewinnen, da kann man sich sicher sein. Erst jüngst hat Pagé wieder den Wert jedes Punkts in der DEL betont – es gebe keine zwei und drei Punkte für den Sieg, sondern eigentlich vier und sechs Punkte. Damit ist natürlich ausgedrückt, wie eng diese Liga wirklich ist – dass die Spitze breiter geworden ist, kennt man ja schon zur Genüge aus dem langweiligen Sport mit dem runden Leder, aber in der DEL hat dieser Satz Wahrheit über die Phrase hinaus. In den letzten drei Spielzeiten haben die Mannschaften, die Platz 10 am Ende der Saison hatten, mehr als 46 % ihrer Spiele gewonnen. Und selbst der Tabellenletzte gewinnt noch 30 – 40 % seiner Spiele. Zwischen Platz 10 und Platz 1 liegen in der Regel 15 – 20 Punkte oder ungefähr 6 Siege. Erfolg ist unter diesen Umständen nicht oder nur sehr schwer planbar. Pagé hat – so wurde es jedenfalls kommuniziert – jedenfalls im Hinblick auf die Positionalität des Systems etwas eingelenkt und erlaubt nun etwas mehr Statik zu Lasten der Flexibilität. Er ist nicht vollständig dogmatisch. Er arbeitet hart. Er verlangt viel von der Mannschaft – aber das ist angemessen. Ich glaube an diesen Pierre Pagé und seine Ideen.
Pascal: Emotionen gehören zum Sport, und es ist klar, dass Pagé polarisiert. Dass er selbst die Diskussion nicht scheut, beteuerte er ja jüngst den Fansprechern gegenüber. Beleidigungen haben dabei jedoch, sei es im Internet oder offline, nichts zu suchen und ist gegenüber jeder Person unangebracht.
Dass Erfolg schwer planbar ist, stimmt zweifelsfrei. Und es mag sein, dass das “System Pagé” anderen Systemen überlegen ist. Jedoch bringt dies nichts, wenn die Spieler es – aus welchem Grund auch immer – nicht umsetzen können. Dass ein Sieg 6 Punkte bringt, kann auch wieder als hohle Phrase verstanden werden, denn Gegner hätten entsprechend 12-Punkte-Siege, was widerum 24-Punkte-Siege usw. zur Folge hätte. Ein Einlenken bei der Positionalität des Systems ist aber beim Betrachten der Line-ups der letzten Spiele nochimmer schwer ersichtlich. Es braucht ja kein statisches Spielsystem, um Kontinuität zu bilden. Es braucht ein System, das funktioniert. Angesicht vieler individueller Fehler, die in haarsträubende Konter münden, funktioniert sein System einfach nicht. Vielleicht sind es die falschen Spieler für den Trainer. Vielleicht ist es aber auch genau anders herum. Sicher wäre interessant, was z.B. Cortina aus diesem Team gemacht hätte. Und ich wäre nicht traurig darüber auch einen anderen Trainer mit der Mannschaft arbeiten zu sehen. Aber ist das realistisch? Interessant wäre außerdem, welchen Einfluss die Co-Trainer auf das Spiel haben.
Thomas: Die Co-Trainer. Auch das ist ein gutes Stichwort. Eine der bisherigen Konstanten in dieser Saison war das starke Spiel von der #32 Jochen Reimer. Reimer wird betreut von Pierre Groulx. Groulx hat in der NHL für die Ottawa Senators, die Florida Panthers und die Montreal Canadiens gearbeitet. Im Jahr 2005 war er Teil des Coaching Staffs von Team Canada bei der WM in Österreich. Groulx und Pagé kennen sich natürlich gut. Die Person Pagé ist direkt verbunden damit, dass auch die Co-Trainer über einen hervorragenden track record auf internationalem Level verfügen. Und das ist dann wiederum entscheidend für die Leistungen der Spieler – hier am Beispiel der #32. Der Dialog mit den Fans wäre sicher wünschenswert, und Radio Oberwiesenfeld plant in diesem Bereich einiges. Vielleicht können wir es schaffen, die Philosophie von Pagé – von der ich absolut überzeugt bin – in die Welt der Fans zu “übersetzen”. Damit wäre viel gewonnen.
Pascal: Die Frage ist, ob es dazu nicht schon zu spät ist. Und viel wichtiger wäre, dass die Mannschaft eine Übersetzung seines Systems bekommt und damit eine Umsetzung auf das Eis gelingen kann. Bezüglich der CVs beider diskutierten Trainer gilt jedoch, dass nichts älter ist, als ein Erfolg von gestern. Es gilt das Jetzt, und jetzt herrscht Handlungsbedarf. In welcher Weise auch immer.
Thomas: Natürlich ist das Hier und Jetzt wichtiger als die Meriten, die in vergangenen Zeiten erarbeitet wurden. Aber die Meriten vergangener Zeiten lassen immerhin mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf den Erfolg in der Zukunft schließen. Wir hoffen beide, dass das Team endlich umsetzen kann, was Pagé sich vorstellt. In der Sache sind wir uns einig, dass wir unterschiedlicher Meinung über den Trainer Pagé sind. Das ist okay so. Aber man kann dieses Thema mit Substanz und Niveau diskutieren. Das wollten wir zeigen. Wir sprechen uns am Ende der Saison nochmal!